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      Interview: Für Frauen mit Genitalverstümmelung

      Interview: Für Frauen mit Genitalverstümmelung

      2013 wurde das Desert Flower Center Waldfriede unter der Schirmherrschaft von Waris Dirie eröffnet. Seitdem wurden hier über 100 Frauen mit Genitalverstümmelung medizinisch und psychologisch betreut. Die meisten von ihnen stammen ursprünglich aus Afrika, leben aber inzwischen in Deutschland. Oberärztin Dr. Cornelia Strunz im Radio-Interview mit Pia Ehrlinspiel, das hier aus technischen Gründen im Wortlaut erscheint.

      Gab es vor der Eröffnung des DFC eine andere Anlaufstelle für Frauen mit Genitalverstümmelung?

      Es gibt einige Ärzte, die Frauen nach Genitalverstümmelung operieren, aber nicht mit diesem ganzheitlichen Konzept, das wir in unserem Desert Flower Center Waldfriede in Berlin anbieten.

      Was war die Intention das Desert Flower Center Waldfriede zu gründen?

      Waris Dirie gründete 2002 die Desert Flower Foundation in Wien, um ihre Arbeit im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung zu unterstützen.

      Chefarzt Dr. Scherer vom Krankenhaus Waldfriede, wo das DFC angesiedelt ist, hatte schon vor mehreren Jahren die Idee, Frauen nach weiblicher Genitalverstümmelung medizinisch zu helfen. Man muss dazu wissen, dass Frauen, die beschnitten sind, oft Fisteln haben. Dr. Scherer wusste von diesem Problem und ist mit unserem Vorstand Bernd Quoß schon vor Jahren nach Äthiopien geflogen, um sich vor Ort ein Bild davon zu machen. Damals war die Grundidee, den afrikanischen Frauen vor Ort zu helfen, was sich allerdings zum damaligen Zeitpunkt als sehr schwierig entpuppte, da FGM in diesen Ländern ein absolutes Tabuthema ist.

      Daraufhin nahm Dr. Scherer Kontakt zur DFF (Desert Flower Foundation Wien) auf und gemeinsam wurde beschlossen, hier in Berlin in unserem Krankenhaus in der Abteilung Darm- und Beckenbodenchirurgie ein Zentrum zu eröffnen, um Frauen nach weiblicher Genitalverstümmelung Hilfe anbieten zu können. (-> Chronik)

      Wie sind Sie persönlich zum DFC gekommen?

      Tatsächlich durch Zufall. Ich bin Fachärztin für Chirurgie und wollte mich im Krankenhaus Waldfriede für Darm- und Beckenbodenchirurgie spezialisieren. Als ich im Sommer 2013 dort anfing zu arbeiten, hat mich Dr. Scherer relativ schnell gefragt, ob ich mir vorstellen könne, im DFC die Sprechstunde zu leiten. Da ich überzeugt davon war und bin, dass diese Frauen Hilfe brauchen und darüber hinaus das Gefühl hatte, dass diese Sprechstunde nur von einer Frau geleitet werden kann, weil sich beschnittene Frauen nur einer anderen Frau anvertrauen würden, habe ich sehr schnell zugestimmt.

      Ich habe dann begonnen mich mit dem Thema weibliche Genitalverstümmelung auseinanderzusetzen, viel recherchiert und gelesen. Am 11. September 2013 wurde schließlich das DFC eröffnet und seitdem bin ich dabei.

      Wie viele Frauen kommen in Ihre Sprechstunde im DFC?

      Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben mittlerweile mehr als 100 Frauen in der Sprechstunde gesehen und die Hälfte davon bisher operiert. Es geht uns auch gar nicht um die Zahlen, das will ich immer wieder betonen.

      Ein Erstgespräch dauert meistens zwischen einer und eineinhalb Stunden, manchmal auch noch länger. Die Frauen sind zutiefst traumatisiert und erzählen mir nicht sofort ihr ganzes Leid. Oft benötigt es mehr als ein Gespräch bis die Frau genug Vertrauen gefasst hat, um sich mir gegenüber zu öffnen. Deswegen nehme ich mir für jede einzelne Frau so viel Zeit, wie sie eben braucht.

      Worüber wird in einer Sprechstunde gesprochen? Wie verläuft so ein Gespräch?

      Um das zu beantworten, müssen wir erst einmal darüber reden wie die Kontaktaufnahme mit mir verläuft. Ich habe ein DFC Telefon, das ich immer bei mir trage. Die Telefonnummer ist auf unserer Website zu finden, genau wie meine Emailadresse. Entweder rufen die Frauen mich direkt an oder schreiben oder ein Sozialarbeiter nimmt mit mir Kontakt auf.

      Oftmals vergehen relativ viele Telefonate bzw. Schriftverkehr bis die Frau dann wirklich in die Sprechstunde kommt. Natürlich erkundige ich mich schon im Vorfeld, wie ich mich mit der Frau verständigen kann. Ob eine Dolmetscherin vonnöten ist und wenn ja, ob sie eine Freundin mitbringt oder ich unsere somalische Dolmetscherin involvieren muss.

      Für die Sprechstunde nehme ich mir ausreichend Zeit. Nach der Begrüßung versuche erst einmal ganz allgemeine Fragen zu stellen, damit ich die Frau besser kennenlerne. Meistens erzählt sie mir dann auch schon von ihrer Beschneidung, erzählt mir die Probleme, die sich für sie daraus ergeben haben. Manchmal frage auch ich, warum sie zu uns gekommen ist. Durch das Gespräch versuche ich so nach und nach ihr Vertrauen zu gewinnen. Oft ist das erstaunlich einfach, manchmal dauert es aber auch verständlicherweise deutlich länger.

      Was für Frauen kommen zu Ihnen? Sind das afrikanische Frauen, die in Deutschland leben oder kommen auch Frauen aus dem Ausland ins Desert Flower Center?

      Das ist eine sehr gute Frage. Die WHO geht davon aus, dass bis zu 50.000 betroffene Frauen und Mädchen in Deutschland leben. Von den Frauen, die wir bisher hier behandelt haben, kommen die meisten auch tatsächlich aus Deutschland, viele aus Berlin. 20 Frauen sind extra für die Behandlung aus dem Ausland angereist.

      Alle diese Frauen kommen ursprünglich aus Afrika, aus dem typischen Gürtel vom Nordwesten zum Nordosten. Aus den 28 afrikanischen Ländern, in denen FGM nach wie vor praktiziert wird, haben wir bis jetzt Frauen aus 17 davon behandelt.

      Was sind die Hauptprobleme, physisch wie psychisch, mit denen die Frauen zu Ihnen kommen?

      Natürlich sind alle zutiefst traumatisiert. Wenn sie bei mir in der Sprechstunde von ihrer Beschneidung erzählen, kommen Erinnerungen an die Schmerzen, an die Qualen, an das ganze Leid wieder hoch. Oftmals fangen die Frauen an zu weinen.

      Von den seelischen Narben abgesehen, haben die Frauen häufig Schmerzen beim Wasserlassen, bei der Menstruation. Erst recht wenn sie nach Typ III beschnitten und so zugenäht wurden, dass nur eine winzige Öffnung vorhanden ist. Menstruationsblut und Urin können so nicht abfließen. Das sind mit die größten Probleme, die die Frauen haben. Ein anderes Problem sind Fisteln zwischen Harnröhre und Scheide, bzw. zwischen Enddarm und Scheide wodurch Inkontinenz entstehen kann.

      Inwieweit können Sie den Frauen helfen?

      Ich erkläre den Frauen im Vorfeld zunächst die Anatomie, erkläre ihnen auch, dass jede nicht beschnittene Frau unten anders aussieht. Viele der Frauen wissen das gar nicht, haben keinerlei anatomische Kenntnisse, was völlig in Ordnung und auch normal ist. Anschließend wird die Frau untersucht und es wird geklärt, ob mit einer Operation die Beschwerden verringert werden können oder nicht. Chronische Unterleibsschmerzen während der Regelblutung beispielsweise können nicht immer durch eine OP verbessert werden, in solchen Fällen müssen andere Lösungen gefunden werden. Wenn die Frauen aber komplett zusammengenäht sind, ist eine OP aber durchaus ratsam. Der Eingriff wird unter Vollnarkose durchgeführt, was für die meisten gar nicht selbstverständlich ist.

      Was viele nicht wissen, die Klitoris ist acht bis zehn Zentimeter lang. Die Beschneiderin nimmt nur den äußeren sichtbaren Teil weg und näht darüber alles zusammen, sodass eine breite Narbe entsteht (Typ III). Während der OP kann diese Narbe abgetragen und die Klitoris wieder an die Oberfläche gebracht werden. Dadurch kann sie nach dem Eingriff wieder ein Gefühl entwickeln. Die Frauen empfinden sich, nach eigener Aussage, danach wieder wie eine vollständige Frau. Denn durch die Beschneidung fühlen sich viele ihrer Weiblichkeit beraubt und schämen sich dafür, wie sie aussehen. Das können wir mit diesem Eingriff ändern.

      Führen Sie diese Operationen durch?

      Nein, die Rekonstruktionen der Klitoris macht Dr. Uwe von Fritschen. Er ist Chefarzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie im Helios Klinikum Emil von Behring in Berlin und seit zwei Jahren unser wichtigster Kooperationspartner. Ich bin sehr froh, dass er Teil unseres Teams ist und diese Eingriffe durchführt.

      Durch die im Vorfeld aufgebaute Vertrauensbasis haben die Frauen glücklicherweise kein Problem damit von einem Mann operiert zu werden. Am Abend vor der Operation stellt sich Dr. von Fritschen der Frau vor und bespricht mit ihr noch einmal ganz genau, was am nächsten Tag passieren wird. So entsteht ein schönes Verhältnis zwischen den beiden und es ist überhaupt kein Thema mehr, dass Dr. von Fritschen ein Mann ist.

      Welche Rolle spielen die Ehepartner bei dieser ganzen Sache?

      Da muss ich ganz klar sagen, dass die meisten Ehemänner nicht dabei sind. Der Großteil der Frauen ist sogar gar nicht verheiratet. Sie kommen aus eigener Intention zu uns, weil sie operiert werden möchten.

      Die Männer der verheirateten Frauen können gerne mitkommen, dagegen ist nichts einzuwenden. Meiner Erfahrung nach sitzen sie während der Sprechstunde aber meist stumm in der Ecke und haben überhaupt keine Fragen oder trauen sich nicht.

      Es kommen aber auch frisch verheiratete Frauen zu uns, die von ihren Männern unterstützt werden. Sie möchten Geschlechtsverkehr haben und vielleicht eine Familie gründen, sprich Kinder bekommen. Was kaum möglich ist, wenn die Frau unten zugenäht ist. Und wenn wir die Frau unter Vollnarkose nicht operieren, also öffnen würden, würde der Mann sie so lange penetrieren bis sie aufreißt. Funktioniert das Öffnen durch Penetration nicht, wird zum Messer gegriffen, bzw. eine professionelle Beschneiderin gerufen, die die Frau aufmacht. Man muss, glaube ich, nicht betonen, wie unglaublich schmerzhaft und traumatisch das ist. Von daher sind die Männer sogar dankbar, dass es uns gibt.

      Einigen Frauen ist es auch sehr wichtig, sich erst nach der Heirat operieren zu lassen. Sie wollen ihrem Mann zeigen, dass sie beschnitten und somit unberührt sind.

      Ich habe von dem Projekt „Rette eine kleine Wüstenblume“ gehört. Inwiefern haben Sie damit zu tun?

      Diese Aktion geht von Waris Dirie und der Desert Flower Foundation in Wien aus und hat mit unserem Center in erster Linie nichts zu tun.

      Die Foundation hat die Kampagne „Rette eine kleine Wüstenblume“ gestartet. Man kann zum Beispiel monatlich Geld spenden für ein Mädchen, das vor Ort durch diese finanzielle Unterstützung vor Genitalverstümmelung bewahrt werden soll. Die Mädchen werden regelmäßig von Vertragsärzten untersucht, die dafür sorgen, dass sie weder beschnitten noch zwangsverheiratet werden.

      Zu Anfang war die Rede von 50.000 betroffenen Frauen in Deutschland, andere Quellen sprechen von 60.000 bis 70.000 – wie realistisch sind diese Zahlen?

      Das ist schwer zu sagen. Ich werde ganz oft gefragt wie hoch die Dunkelziffer ist. Aber eine Dunkelziffer ist nun mal eine Dunkelziffer. Ich habe auch keine anderen Daten als die von der Weltgesundheitsorganisation. Es wird allgemein von 50.000 betroffenen Frauen in Deutschland ausgegangen, aber vielleicht sind es auch 60.000 oder 70.000.

      Das bedeutet, die Frauen, die nicht den Weg zu Ihnen finden, leben irgendwie mit ihren Beschwerden?

      Entweder das, oder sie sind nach Typ I oder Typ II beschnitten und haben vielleicht tatsächlich weniger Beschwerden. Das kann durchaus sein.

      In Deutschland ist weibliche Genitalverstümmelung offiziell verboten?

      Richtig. Weibliche Genitalverstümmelung ist in Deutschland ein Straftatbestand. Übrigens genau wie in vielen afrikanischen Ländern. Es besteht dort nur kaum die Möglichkeit einer Strafverfolgung.

      Werden Mädchen trotzdem in Deutschland beschnitten oder werden sie dafür extra nach Afrika gebracht?

      Ich habe davon gehört, dass professionelle Beschneiderinnen aus Afrika eingeflogen werden, aber mir ist glücklicherweise noch kein Fall dieser Art untergekommen. Es hat sich noch keine Frau in der Sprechstunde vorgestellt, die hier beschnitten worden ist. Durch die Foundation in Wien weiß ich aber, dass Beschneidung auch hier durchgeführt wird. Allerdings würde keine einzige Frau das zur Anzeige bringen. Dafür ist die Angst vor den Konsequenzen viel zu groß.

      Was sind das für Konsequenzen?

      Es besteht die Gefahr, dass sie aus der Community ausgestoßen werden und große Probleme bekommen, sollten sie etwas sagen.

      Ist das DFC auch aktiv in der Prävention- bzw. Aufklärungsarbeit in afrikanischen Communities?

      Ende Mai waren meine Kollegin Evelyn Brenda und ich in Kenia und haben dort unter anderem im Gynocare Fistula Center bei Dr. Mabeya hospitiert. Das Krankenhaus Waldfriede unterstützt diese Klinik und leistet entsprechend Aufklärungsarbeit.

      Und in Deutschland?

      Wir haben hier eine monatliche Selbsthilfegruppe, in der die Frauen sich ganz anonym vorstellen und austauschen können. Wir reden in der Gruppe immer und immer wieder über weibliche Genitalverstümmelung. Einige der Frauen haben sich operieren lassen und sind anschließend schwanger geworden. Fast alle von ihnen haben ein Mädchen zur Welt gebracht und wir sprechen ständig mit den jungen Müttern, dass sie ihre Mädchen auf keinen Fall beschneiden dürfen. Unsere Hoffnung ist, dass dadurch eine Generation frei von FGM aufwächst.

      Haben Sie die Hoffnung, dass ihr Einfluss größer ist als der Einfluss der Community und dass die jungen Mütter ihren Töchtern das Leid der Genitalverstümmelung ersparen?

      Ja natürlich. Bei den Frauen, die regelmäßig hier herkommen – die sich mit anderen afrikanischen Frauen unterhalten, mit Frau Brenda, unserer kenianischen Beraterin und auch mit Frau Mohamed, unserer Dolmetscherin aus Somalia – bin ich mir sicher, dass sie ihre kleinen Mädchen nicht beschneiden lassen. Weil sie selbst diesen schlimmen Schmerz erlitten haben und wissen was es bedeutet, sich operieren lassen zu müssen. Wir reden ständig miteinander und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihren Töchtern das antun würden.

      Ein Problem scheint das also nur bei Familien zu sein, die vorhaben in ihre Heimat zurückzukehren?

      Diese afrikanischen Familien wollen alle nicht zurückkehren. Sie sind froh, wenn sie hier Asyl bekommen und in Deutschland bleiben können.

      Frau Dr. Strunz, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.

      https://www.dfc-waldfriede.de/blog/interview-fuer-frauen-mit-genitalverstuemmelung
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